Papsturkunden des frühen und hohen Mittelalters – Ergebnisse und Perspektiven

Papsturkunden des frühen und hohen Mittelalters – Ergebnisse und Perspektiven

Organisatoren
Akademienprojekt „Papsturkunden des frühen und hohen Mittelalters“, Akademie der Wissenschaften zu Göttingen
Ort
Göttingen und digital
Land
Deutschland
Vom - Bis
24.06.2021 - 25.06.2021
Url der Konferenzwebsite
Von
Alexina Ludorff, Georg-August-Universität Göttingen

Das Kolloquium des Akademienprojekts „Papsturkunden des frühen und hohen Mittelalters“ fand als Hybridveranstaltung in der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen statt. Es diente als Resümee des sich dem Abschluss nähernden Projekts und seiner drei Säulen „Iberia Pontificia“, „Osteuropäische Pontificien“ und „Chronologisches Gesamtverzeichnis“ – die Neuausgabe der von Philipp Jaffé begründeten Regesta Pontificum Romanorum. Der Projektleiter KLAUS HERBERS (Erlangen) verwies in seinen einleitenden Worten auf die verschiedenen Projektveröffentlichungen und dankte den zahlreichen Teilnehmenden für das tatkräftige Forschungsgeschehen der vergangenen Jahre. Hinzu kamen Bemerkungen zum digitalen Zugriff auf die Projektergebnisse und die begleitenden Publikationen. Anschließend stellten die Mitarbeitenden ihren Forschungsbereich und Ergebnisse in 20-minütigen Vorträgen vor, auf die jeweils ein Respondent ausführlich antwortete.

Zunächst befasste JUDITH WERNER (Erlangen) sich mit der Neubearbeitung des chronologischen Gesamtverzeichnisses Philipp Jaffés. In der Projektlaufzeit konnten der Zeitraum bis 1099 neu erschlossen und vier Regestenbände veröffentlicht werden. Der fünfte Band wird noch in diesem Jahr publiziert. In vier kurzen Anwendungsbeispielen präsentierte Werner verschiedene neue Zugriffsmöglichkeiten, die die Neuauflage der Papsturkundenforschung im Vergleich zur alten Auflage bietet. Harald Müller (Aachen) warf im Anschluss mehrere Spannungsfelder auf, die unter anderem die Neubearbeitung des Jaffés als digitale Veröffentlichung betreffen, und zeigte mögliche Perspektiven in der Zugänglichkeit und Reichweite auf. Darüber hinaus stellte er die Regestenbände als Überblickswerke und als Möglichkeit zur ausführlicheren Analyse von Papsturkunden heraus, betonte dabei jedoch, die Erschließung von Papsturkunden selbst und die inhaltliche Arbeit mit ihnen mithilfe dieser Sammlung möglicherweise zu trennen.

THORSTEN SCHLAUWITZ (Erlangen) präsentierte die digitalen Herangehensweisen in der Papsturkundenforschung mit Konzentration auf die umfassenden Leistungen innerhalb des Göttinger Akademienvorhabens. Der Schwerpunkt des Vortrags lag auf der Vorstellung der Datenbank Regesta Pontificum Romanorum online1, in der vier verschiedene Regestenreihen – Jaffé, Pontificia-Bände des Göttinger Papsturkundenwerk, Regesta Imperii und Regesta decretalium – vereint sind. Für umfassende und präzise Suchergebnisse werden die Daten mit Normdaten angereichert. Anhand einiger Beispiele führte Schlauwitz die Funktionen und Anwendungsbeispiele praktisch vor, bevor er abschließend Desiderate und Möglichkeiten zukünftiger Entwicklungen aufzeigte, die er vornehmlich in großen Datenanalysen und linguistischen Auswertungen der Volltexte der Papsturkunden sieht. Günther Görz (Erlangen) hob ebenfalls das grundsätzliche Potential computergestützter linguistischer Untersuchungen hervor, würdigte aber auch das im Projekt Erreichte und verwies auf die Bedeutung der Langzeitarchivierung dieser digitalen Inhalte, die zukünftigen Forschenden zur Verfügung stehen müssen.

WALDEMAR KÖNIGHAUS (Göttingen) schloss den ersten Sitzungstag mit Ausführungen zu den Regestenbänden aus dem Bereich „Osteuropäische Pontificien“. Innerhalb der Projektlaufzeit, in der er sich vor allem den östlichen Peripherien Europas widmete, gelang es ihm, drei Bände zum Abschluss zu bringen: „Bohemia-Moravia Pontificia“, „Polonia Pontificia“ und „Dalmatia-Croatia Pontificia“, die demnächst erscheinen wird. Anhand dieser Bände, in denen er die Kontakte der jeweiligen Region mit dem Papsttum nachverfolgte, legte Könighaus nicht nur statistische Daten vor, sondern konnte auch an mehreren Beispielen aufzeigen, dass auch heute noch nicht nur Korrekturen, Präzisierungen oder Richtigstellungen vorgenommen, sondern auch Forschungsimpulse gegeben und neue Forschungserkenntnisse gewonnen werden können. Werner Maleczek (Wien) hob die Bedeutung der Aufarbeitung der östlichen Peripherien innerhalb der Projektlaufzeit hervor und reflektierte schließlich anekdotenhaft die langwierige und nicht immer einfache Geschichte des Akademienprojekts und des einzig noch verbliebenen Bausteins der „östlichen Pontificien“, der „Hungaria Pontificia“.

Den zweiten Tag leitete DANIEL BERGER (Göttingen) mit Bemerkungen zum „Kanzleigang“ im 12. Jahrhundert ein. Auf der Basis der päpstlichen Überlieferung im Kathedralarchiv von Segovia fragte er nach Erkenntnissen über den Ausfertigungsprozess der Urkunden. Da mehrere der in Segovia überlieferten Urkunden nur in korrigierten, zum Teil unbesiegelten und nicht zuende ausgestellten Exemplaren erhalten sind, ergab sich mit Blick auf den „Kanzleigang“ der Befund, dass im Ausstellungsprozess verworfene Exemplare offenbar im Besitz des Empfängers verblieben. Diese besondere Überlieferungssituation konnte Berger mit der Beilegung eines langwierigen Rechtsstreits zwischen den Bistümern Segovia und Palencia erklären, bei der sich die Streitparteien im Jahr 1190 verpflichteten, alle damit verbundenen Urkunden und Beweismittel zu vernichten. Zu den Möglichkeiten des Empfängereinflusses unter Calixt II. (1119-1124), der sich auch in der Segovianer Überlieferung abzeichnet, verwies Fernando López Alsina (Santiago de Compostela) auf die Darstellung in der Historia Compostellana, wonach das Privileg Calixts II. zur Erhebung Compostelas in den Rang einer Metropole den Compostelaner Abgesandten als unbesiegeltes Exemplar zur weiteren Endredaktion mitgegeben worden sei.

THOMAS CZERNER (Göttingen) sprach über die Beziehungen des Bistums Pamplona zum Papsttum im 11. und 12. Jahrhundert. Mithilfe einer historischen Einordnung und der exemplarischen Vorstellung von aussagekräftigen Papsturkunden zu Diözesanstreitigkeiten, darunter vor allem Konflikte mit den Bischöfen von Huesca und Zaragosa, stellte er die steigende Autorität des Papstes als Richter heraus und hob ebenso die landesgeschichtliche Tragweite der Ergebnisse hervor. Besonders umstritten war die Region des Valdonsella. Czerner stützte sich auf Papst- und Legatenurkunden sowie Schreiben der delegierten Richter, die über die Strategien der Konfliktparteien, ihre Ansprüche vor dem Papsttum wirksam zu vertreten, Aufschluss geben. Irmgard Fees (München) bemerkte, dass man sich bei Streitigkeiten, etwa um Diözesangrenzen, immer wieder mit der Bitte um Entscheidungen an Rom wandte, dass der Papst aber angesichts fehlender Kenntnisse lokaler Gegebenheiten auf Berater angewiesen war.

Zum Abschluss stellte FRANK ENGEL (Göttingen) eine im Entstehen begriffene Fallstudie vor, die sich auf die Papsturkundenüberlieferung vor allem des 12. Jahrhunderts als maßgebliche Quellengrundlage stützt. Anhand der Belege zur Verstümmelung und Selbstverstümmelung von Klerikern soll in einer vergleichenden Untersuchung der Frage nachgegangen werden, ob für die in der Forschung als frontier societies beschriebenen iberischen Königreiche, insbesondere Kastilien und León, eine höhere Gewaltbereitschaft gegen Geistliche erkennbar wird als für andere Regionen. Der Vortrag befasste sich mit den einschlägigen kirchenrechtlichen Bestimmungen, den Schwierigkeiten der kurialen Überlieferung und weiteren Deutungsproblemen, die mit dem Tatbestand von Verstümmelung und Selbstverstümmelung zusammenhängen. Theo Kölzer (Bonn) regte in seinem Kommentar an, die Quellengrundlage um die iberischen Provinzialkonzilien sowie die frühmittelalterlichen Stammesrechte zu erweitern. Besonderes Augenmerk solle auch darauf gelegt werden, wer die Delikte letztlich ahndete.

Die im Kolloquium vorgestellten Teilprojekte und Forschungsgebiete zeigen, dass die Erfassung und Bearbeitung der Papsturkunden bspw. bestimmter Regionen zu grundlegenden und neuen Erkenntnissen führen können und somit weiterhin Forschungspotenzial bereithält.

Konferenzübersicht:

Klaus Herbers (Erlangen): 15 Jahre Akademienprojekt „Papsturkunden des frühen und hohen Mittelalters“ in Göttingen

Judith Werner (Erlangen): Die Neubearbeitung der Regesta Pontificum Romanorum Philipp Jaffés als Grundlage für die Papsturkundenforschung

Kommentar: Harald Müller (Aachen)

Thorsten Schlauwitz (Erlangen): Papsturkundenforschung im digitalen Zeitalter. Stand, Ergebnisse und Desiderata

Kommentar: Günther Görz (Erlangen)

Waldemar Könighaus (Göttingen): Vom Ostseestrand an die Adria. Neue Erkenntnisse zur Geschichte der Kirche in Ostmittel- und Südosteuropa

Kommentar: Werner Maleczek (Wien)

Daniel Berger (Göttingen): Wie erhält man eine Papsturkunde – und wenn ja, wie viele? Bemerkungen zum „Kanzleigang“ im 12. Jahrhundert

Kommentar: Fernando López Alsina (Santiago de Compostela)

Thomas Czerner (Göttingen): Am Rande der Peripherie? – Die Beziehungen des Bistums Pamplona zum Papsttum im 11. und 12. Jahrhundert

Kommentar: Irmgard Fees (München)

Frank Engel (Göttingen): Verstümmelte Kleriker – Lebten Geistliche auf der Iberischen Halbinsel gefährlicher als anderswo?

Kommentar: Theo Kölzer (Bonn)

Anmerkung:
1https://www.papsturkunden.de (04.11.2021).


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